Womit beginnt eine Reise?

 

 

 Erinnerungen unserer Pilgerschaft nach Santiago de Compostela

 

 

Teil I

 

 

 

 

 

EINLEITUNG

 

 

 

18. Juni 2023

 

 

 

 „Womit beginnt eine Reise?“ Diese Frage schrieb ich vor zwei, drei Jahren nieder und hängte sie - in einer stillen Vorahnung wohl - an die Wand vor unserer Küchenspüle. Sie war mir wichtig, diese Frage, gleichzeitig erschien sie mir rätselhaft. Ich wusste nicht, dass sie mich schon bald fortführen würde in ein Land meiner Sehnsucht. Dies meine ich eher im übertragenen Sinn, denn Spanien gehörte nicht zu meinen Traumländern. Mich hatte stets der ruhigere und kühlere Norden fasziniert.

 

Manchmal hielt ich inne und blickte darauf, unwissend und zweifelnd, gleichzeitig magisch verführt von meinen eigenen Worten. Sie waren wie die Kieselsteine in „Hänsel und Gretel“, die den Geschwistern den Weg nach Hause wiesen. Die Worte ließen mich träumen wie ein Kind, das dem Hier und Jetzt entschwindet und sich hinaus beamt in eine noch unentdeckte Welt. „Womit beginnt eine Reise?“ Ich hatte mir selbst die Antwort gegeben und sie niedergeschrieben: „Mit einem Herzen voller Sehnsucht!“

 

 Heute auf den Tag vor vier Wochen sind wir zurückgekommen. Ich sehe meine Reise bereits in der Retrospektive, reibe mir die Augen und „zwicke“ mich innerlich während ich mich frage: War meine Pilgerschaft Wirklichkeit oder träume ich noch immer, vor der Spüle in unserer Küche stehend? Wir waren fort - ganze vier Wochen - auf dem wohl bekanntesten Weg der Welt, dem Camino, den es im Singular so nicht gibt, denn es sind ihrer viele. Getreu dem Motto „Viele Wege führen nach Rom, äh Santiago de Compostela“ ist das gemeinsame Ziel der vielen Pilgerwege die galicische Stadt im Nordwesten Spaniens mit dem Grab des Apostels Jakobus. Sie gehen von Dublin, Trondheim, Görlitz, Warschau, Lemberg, Budapest, Zagreb, Brindisi, Marseille aus u.v.m.

 

Der beste Kamerad, mein Ehemann, bestätigt mir von Zeit zu Zeit, dass ich nicht träume. Er ist Zeuge unserer gemeinsamen Reise, er erlebte und erlitt alles mit mir. Und immer wieder erzählen wir uns wechselseitig von unseren Abenteuern als Pilger. Dann halten wir inne und unsere Augen beginnen zu leuchten. Wir werden nicht müde, uns zu bestätigen, dass der Camino eine Offenbarung für uns ist und zu den Highlights unseres Lebens zählt. Und die können wir an einer Hand abzählen, denn wir sind wählerisch …

 

Wir reden hier vom Pilgern, nicht vom Wandern. Diese Akzentuierung ist uns wichtig, denn wir sehen uns als Pilger unseres Lebens. Der Camino ist sozusagen ein Lebensweg in Miniatur - mit Höhen und Tiefen, mit sonnigen Erlebnissen und Schattenseiten. Wir betten uns ein in die große Schar der Pilgerinnen und Pilger, die seit dem 9. Jahrhundert zum Grab des Heiligen Jakobus, wall(t)en. Es scheint die Menschen seit dem Mittelalter magisch anzuziehen.

 

Jakobus gehörte zusammen mit seinem Bruder Johannes zu den erstberufenen Jüngern Jesu. Wegen ihres wohl ungestümen Temperaments wurden die beiden „Donnersöhne“ genannt. Jakobus wurde als erster Zeuge Jesu mit dem Schwert hingerichtet, der erste christliche Märtyrer. Er ist der Nationalheilige von Spanien und der Patron der Pilger. Sein Gedenktag ist der 25. Juli. Um ihn ranken sich zahlreiche Legenden.

 

 Unten siehst du den Ausschnitt einer Broschüre des Fremdenverkehrsbüros von Cudillero, etwas schief geraten, aber dennoch lesenswert:

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Der hier genannte „Camino Primitivo“ war der erste und ursprüngliche Weg von König Alfons II im 9. Jahrhundert. Wir haben den „Camino del Norte“ (Nordweg) entlang der Küste Nordspaniens genommen. Er wird auch „Camino de la Costa“ (Küstenweg) genannt, weil er zu einem großen Teil an der Nordküste Spaniens entlangläuft. Er ist eher unbekannt und gilt als Geheimtipp unter den Jakobswegen, nur 6 % aller Pilger gehen ihn. Wir haben gelesen, dass er recht schwierig sein soll, Gottseidank erst im Nachhinein, sonst hätten wir ihn uns sicher nicht zugetraut. Von seinem Beginn in Irun an der französischen Grenze bis nach Santiago de Compostela ist er ganze 850 km lang. Wir sind ihn vom Flughafen Oviedo aus insgesamt 300 km gegangen. Die folgende Skizze aus meinem Pilgerausweis zeigt unsere Route ab Avilés etwa, dort in der Nähe liegt der Flughafen.

 

 

 

  © Franka Frieß

 

Und nun nehme ich dich mit auf unsere große Pilgerschaft. Ich teile gerne mit dir einige meiner Notizen und Fotos, meist waren es Collagen, die abends an meine Familie gingen. Sie stammen aus der Zeit unseres Caminos vom 18. April 2023 – 17. Mai 2023. Es sind persönliche Erinnerungen an eine für uns „begnadete“ Zeit. Ich stutze, während ich dieses eher ungebräuchliche Wort niederschreibe, aber: - es passt!

 

 Meine Aufzeichnungen stellen selbstverständlich keinen Sachbericht dar, derer gibt es unzählige, und jede/r Interessierte wird fündig in einer Fülle von Reiseliteratur und Filmen. Die nachfolgenden Aufzeichnungen sind Erlebnisse, geschildert aus einem teilweise philosophisch-spirituellen Blickwinkel. Vielleicht wecken sie ja in dir den Wunsch, den Camino ebenfalls zu pilgern? Das würde mich freuen!

 

 

 

REISEERINNERUNGEN

 

 

 

Oviedo – Cudillero

 

 

 

Nach siebenstündiger Wanderung vom Flughafen Oviedo aus, teils durch Eukalyptuswälder, die ich bisher noch nicht kannte, und vorbei an interessiert blickenden Pferden und geduldig muhenden Kühen mit bimmelnden Glocken am Hals, kommen wir in dem malerischen Fischerstädtchen Cudillero an. Im Rückblick ist dieser erste Tag zusammen mit einer weiteren Etappe, von der du noch lesen wirst, der anstrengendste unserer Pilgerreise. Unerfahren wie wir sind, haben wir die veranschlagte Länge von 22 km nicht richtig einkalkuliert. Zuhause sind wir ein paarmal eine Etappe von vier km gelaufen, die uns nicht sonderlich schwergefallen sind. Diese haben wir mit fünf multipliziert und sind auf 20 km gekommen. Auch bin ich bereits mit meinem neuen Rucksack auf einem eher bergigen Stück Waldweg gelaufen. Nein, fällt mir da ein, wir sind auch die sogenannte „Extratour Michelsberg“ - circa zehn km - gelaufen von unserer Haustüre aus. - Das war dann aber auch unser gesamtes Training und das müsste schon gehen, haben wir gedacht. Im Nachhinein raufe ich mir die Haare bei so viel Unbeschwertheit ...  Aber auf einer längeren Strecke sind wir eben nicht eingelaufen und unsere unerfahrenen Füße schmerzen sehr, es sind halt noch keine abgehärteten „Pilgerfüße“. Mein lieber Gefährte übrigens hat alle Warnungen bezüglich neuer Schuhe nicht ernst genommen, denn er wandert in welchen, die noch nicht eingelaufen sind, und muss einen hohen Preis dafür zahlen. Aber ich will ganz leise sein, habe ich doch selber Fehler gemacht … Auch unser Gepäck ist zu schwer, dabei habe ich meinen Rucksack mehrmals zuhause gepackt, gewogen, Sachen rausgeschmissen, wieder eingepackt, nochmals gewogen und, und, und. Ich sehe noch alle meine Kleidungsstücke und Reiseutensilien auf dem Bett verteilt, die Waage danebenstehend … Die Ratschläge von erfahrenen Pilgern, die wir in unserem Heimatstädtchen aufgesucht haben, haben wir zu verwerten versucht. Trotzdem scheuert das Gepäck und es reiben die Schuhe. So ruckele ich meinen Rucksack nach links und nach rechts, ich nehme die Gurte weiter, dann enger, ich schnurre den Beckengurt mal fest, mal locker, um meinen Rücken zu entlasten. Es hilft alles immer für eine gewisse Zeit, dann ändere ich wieder die Position …

 

 In Cudillero schließlich finden wir mit großer Mühe unser vorgebuchtes Apartment, das versteckt am Hügel des Fischerstädtchens liegt. Komischerweise kennt niemand die Adresse und keiner kann uns weiterhelfen. Wir müssen dem Vermieter eine Mail senden, telefonisch ist er nicht erreichbar. Man schickt uns ein Foto der Eingangstür. Den Türcode können wir nicht eingeben, wir haben lediglich einen Buchungscode, den ich versuchsweise eintippe, der natürlich nicht passt. Der Türcode ist uns nicht mitgeteilt worden, das ist ein Versäumnis des Vermieters. In einer zweiten Mail wird uns dieser schließlich gesandt. Endlich in der Unterkunft angekommen, freuen wir uns auf eine Tasse Tee. Wir wollen uns auch ein paar Lebensmittel besorgen, denn wir haben wohlweislich eine Wohnung mit Küche gebucht, um uns nach dem ersten Pilgertag selbst versorgen zu können. So haben wir gedacht. „Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Der Mensch dachte und Gott ...“ Wir haben alles, was zu einem modernen Haushalt gehört, eine Waschmaschine, ein Bügelbrett, einen Staubsauger, einen Herd und so weiter, aber wir können nichts nutzen. In der gesamten Wohnung gibt es keinerlei Anleitungen, wie man den modernen Herd nutzt, mit seinen roten blinkenden Leuchtzahlen, die man höher und tiefer einstellen kann, und mit weiteren kryptischen Zeichen. So etwas kennen wir nicht, obwohl wir schon oft in gemieteten Apartments die Ferien genossen haben, zusammen auch mit unseren Kindern, die da auf dem neuesten Stand sind. Wir fühlen uns dumm, noch nicht auf dem Niveau dieser zivilisierten Spanier! Wir sind zu alt für solche Sperenzchen, geht es mir durch den Kopf, wir sind Grufties aus der Generation 60plus. Ebenso wenig können wir den Fernseher anmachen, in dem wir Anleitungen für die Küchenzeile vermuten. Nur Radio Maria läuft dort mit Rosenkranz auf Spanisch. Will uns da jemand ärgern? Vielleicht wäre dies ja eine gezielte Einladung für religiöse Pilger zum Gebet gewesen? Wir haben diese Einladung jedenfalls nicht als solche wahrgenommen.

 

 Schließlich bekomme ich die Mikrowelle angeschmissen, juhu, und mache etwas Wasser heiß für einen Tee. Mehr ist nicht drin. Der Herd bleibt kalt. Jetzt reicht`s. Wir geh`n essen ...

 

 Am Ende aber schaffen wir den Weg zu einem Restaurant nicht mehr, dafür schlafen wir mit knurrenden Mägen, noch in Wanderklamotten, auf dem Bett ein.

 

 © Franka Frieß

 

 

Cudillero - Soto de Luiña

 

 
Der zweite Tag führt uns von Cudillero aus etwa zehn Kilometer gen Westen, nach Soto de Luiña. Wir pilgern nur wenige Stunden, aber alles ist fast so anstrengend wie gestern, der Vortag steckt uns noch in den Knochen.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Wir übernachten in einem liebevoll eingerichteten Hotel am Rande des Städtchens. Es war früher eine Schneiderei und eine Art Modeschule, daher werden alte Exemplare von Nähmaschinen, mehr oder weniger verblichene Fotos vergangener Modejournale und Zubehör zum Nähen ausgestellt. Sehr interessant! Ich bleibe oft im Treppenhaus auf dem Weg zu unserem Zimmer stehen und betrachte die Kostbarkeiten aus früheren Zeiten.

 

 Am Morgen beim Frühstücken reden wir mit einer recht desillusionierten Pilgerin aus Dänemark, die sehr gut Deutsch spricht, da ihre Mutter Deutsche ist. Sie klagt über Schmerzen im Knie, die sie beim Bergabgehen spürt. Ich erzähle ihr, dass sie wahrscheinlich einen Meniskusriss hat, denn diese Schmerzen kenne ich auch. Mein Knie wurde diesbezüglich geröntgt, man hat mir einen Schaden zweiten Grades attestiert.

 

 Die Frau mittleren Alters hat bereits telefonisch ein Busticket bestellt, das sie zur nächsten Stadt bringen wird. Sie will erst noch ihr Knie ausruhen lassen, bevor sie weiter pilgert. Sie tut mir leid - gleich am Anfang fahren zu müssen anstatt zu pilgern. Ich hoffe, sie kann später doch noch per pedes unterwegs sein.

 

 

© Franka Frieß

 

 

 

Soto de Luiña – Ballota

 

 

 

 Das Pilgern fällt uns heute deutlich leichter als bisher. Vielleicht sind wir doch schon etwas mehr eingelaufen als am Anfang? Es fängt an Spaß zu machen: Gehen, wandern, stehenbleiben, Rast machen, wieder aufbrechen, weiterpilgern, reden, schweigen, den Gedanken nachhängen, still sein, die Natur sehen, hören, riechen ... Wir übernachten in einem Dorf, das im Grunde nur aus wenigen Häusern entlang einer Straße besteht. Wir haben nichts gebucht, aber finden im einzigen Hotel von Ballota eine preisgünstige Bleibe. Der Wirt kredenzt uns ein einfaches, sehr gutes spanisches Abendessen mit einem köstlichen Hausrotwein.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Ballota - Canero

 

 

 

 Unser Stopp in Canero ist eigentlich nicht geplant, aber es zieht ein Unwetter auf und darauf bin ich gar nicht erpicht. Ich will da nicht weiter pilgern. Eine Frau vor einem einsamen Hotel mitten im Wald spricht uns an, weil wir recht verloren rumstehen und überlegen, wie es weitergehen soll. Sie ist die Besitzerin und bietet uns ein Zweibettzimmer an. Nach einigem Hin und Her nehmen wir das Angebot an. Die Regenponchos bleiben also - noch ungeöffnet - im Rucksack.

 

In der Nähe des Hotels liegt eine Badebucht, die muss sehr malerisch sein, so die Besitzerin. Normalerweise würden wir den schmalen Waldweg zur Bucht - ein kurzer Abstecher vom Haus nur - gerne nehmen. Aber bei dem prasselnden Regen geht das leider nicht.

 

 

 

 Canero - Luarca

 

 

 

  Auf unserer Tagestour Richtung Luarca kommen wir durch einen verbrannten, sehr unheimlichen Wald, wo es immer noch kokelt und Glutnester zu erkennen sind. Sie stammen vom Brand im März 2023, wie wir später erfahren, also nicht lange her. Der strenge rauchige Geruch steigt mir in die Nase. Ich werde unruhig. Wie schnell kann der Wind die Glut wieder entfachen? Wo ist der nächste Ausgang aus dieser Gefahrenzone? Wie weit ist es bis zur Straße, wo ich eventuell Hilfe holen kann? Ich blicke besorgt zu den kleinen aufsteigenden Rauchsäulen, will ich doch sofort wissen, ob sich die Glutnester wieder entfachen. Ich lasse meinen Mann deutlich hinter mir und laufe in einem „Affenzahn“, obwohl der Rucksack drückt und auf meinem Rücken hin- und her schwenkt. Solch einen Sprint habe ich kein zweites Mal während unserer Pilgertour eingelegt. Ein bisschen fühle ich mich schuldig, weil ich meinen Gefährten „im Stich lasse“. Der denkt nicht daran, sein Tempo zu erhöhen, oder er kann es einfach nicht. Ich beruhige mein schlechtes Gewissen, naja, dann kannst du immerhin für ihn die Feuerwehr holen! 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Wir legen nach etwa siebzehn km einen faulen Nachmittag in Luarca ein, einem hübschen Piratenstädtchen. Die Brücke, auf der du mich auf der Collage oben siehst, führt über den Fluss Negro, sie heißt „Kussbrücke“ nach einer alten, sehr traurigen Sage. Diese erzählt, dass die Stadt im Mittelalter von grausamen Piraten heimgesucht wurde, der berühmteste unter ihnen war Cambaral. Eines Tages gelang es dem Gouverneur von Luarca, Cambaral schwer zu verwunden. Die Tochter des Gouverneurs bat ihren Vater, den verletzten Piraten pflegen zu dürfen. Die beiden - Cambaral und das schöne junge Mädchen - verliebten sich ineinander und beschlossen zu fliehen. Als sie sich laut Sage an ihrem geplanten Fluchtort - auf dieser Brücke - leidenschaftlich küssten, wurden sie vom Gouverneur entdeckt, der sie in seiner unermesslichen Wut mit dem Schwert tötete. Ihre Körper blieben ineinander verschlungen während ihre Köpfe ins Meer rollten ... Deshalb sagt man, dass man in Mondnächten das Geflüster der Liebenden aus dem Meer hören kann ... Sehr traurig, diese Sage!
 

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Du siehst auf der Collage auch, in welchen Flipflops meine Füße plus Socken am Feierabend jeweils stecken. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Die von unserer Tochter geliehenen Badesandälchen tun meinen Füßen einfach gut.

 

Dieses wunderschöne Städtchen Luarca werden wir bestimmt noch einmal besuchen, um mit mehr Zeit und Muße seine Geschichte kennenzulernen, denn Luarca birgt neben der Sage um die Kussbrücke viele weitere - belegte - Fakten aus der Vergangenheit. Ein Beispiel: Der Nobelpreisträger für Medizin Severo Ochoa wurde 1905 hier geboren. Sein Geburtshaus in Luarca kann man besuchen. Er forschte übrigens auch eine Weile in Heidelberg.

 

© Franka Frieß    

                Luarca bei Nacht                    

 

 

 Wir bleiben noch über den Sonntag in Luarca, denn es regnet heftig. In der Pfarrkirche beeindrucken mich diese beiden Statuen, ich finde sie so schön und könnte sie lange betrachten: der auferstandene Jesus und seine Mutter Maria.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Zum Abschluss erlässt uns beim Bezahlen der alte nette Herr, der stets an der Bar in der Nähe der Kasse sitzt, vermutlich der Seniorchef, das zweite Frühstück. Ich glaube, er ist beeindruckt von dem Ehepaar aus Deutschland, das diese Pilgerschaft wagt, und von meinem Weggefährten, der so gut Spanisch spricht. Auch vermute ich, dass manch einer leicht wehmütig an eigene Versäumnisse denkt. Vielleicht wurden Pläne nicht in die Tat umgesetzt oder man konnte dies nicht?

 

 

 

Luarca - Navia

 

 

 

Heute dürfen wir unsere neuen Regenponchos auspacken. Die nagelneue, noch originalverpackte Ware aus einem Outdoorgeschäft unserer Heimat ist ihr Geld wert, wirklich tauglich! Sie packt alles ein, uns mitsamt Rucksack. Sieht zwar komisch aus, ist aber praktisch, weil nichts nass wird.

 

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Wir schaffen die 20 km locker und erreichen Navia bereits gegen drei Uhr am Nachmittag, da wir in Luarca sehr früh, schon in der Dunkelheit vor dem Frühstück aufgebrochen sind. Es gefällt uns hier in Nordspanien, die mittlerweile gute Laune besteht fort. Die freundlichen Menschen, das saubere Land, das gute Essen, die schöne Natur, EINFACH leben, einfach LEBEN ... Was will man mehr?

 

 

 

                          © Franka Frieß                    

 

Mein Mann hat große Blasen an den Fußsohlen und ich leide unter Knieproblemen. Dazu gesellen sich bei mir drei blaue Zehen, die von Druckstellen meiner eigentlich guten Wanderschuhe stammen. Für zu Hause waren sie stets passend, aber da bin ich keine sieben Stunden am Stück mit sieben Kilogramm Gepäck gelaufen, und meine Füße haben sich in Spanien deutlich ausgedehnt. Besonders beim Abwärtsgehen spüre ich den Druck der mittlerweile zu klein gewordenen Schuhe. Nachdem ich sie ein paar Tage an meinem Rucksack baumelnd mit mir rumgeschleppt habe, ringe ich mich durch, sie wegzugeben und stelle sie schweren Herzens auf einen Container entlang des Caminos, in der Hoffnung, eine kleinfüßigere Pilgerin kann sie gebrauchen. Ich wünsche dieser Unbekannten, dass meine schönen Schuhe - noch dazu in meiner Lieblingsfarbe Weinrot - ihr Glück bringen, dass sie vor allem gut sitzen.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Nun gehe ich abwechselnd in meinen orthopädischen Sandalen und in ausgelatschten Laufschuhen, die so breit vorne sind, dass meine Zehen nicht schmerzen. Diese petrolgrünen Treter aus einem deutschen Discounter sind bereits alt. Ich erinnere mich, ich habe sie vor acht Jahren für unsere Parisreise, die wir noch mit unseren Kindern gemacht haben, für unter zwanzig Euros gekauft. Sie haben mir unglaubliche Dienste geleistet: 2015 in Paris, noch formschön und vorzeigefähig, besuchten sie Notre Dame, damals noch unzerstört von dem unglaublichen Feuer. 2016 kletterten sie auf den spektakulären Hängen von Machu Picchu herum. Auf weiteren Reisen betrachteten sie die jeweiligen Sehenswürdigkeiten und verloren dabei stetig an Schönheit. Und jetzt, 2023 auf dem Camino, sind sie leicht unförmig und verbraucht. Ich wollte sie schon mehrere Male wegschmeißen, aber konnte mich nie dazu durchringen. Mindestens fünfmal in der Maschine gewaschen, habe ich sie aus einer Laune in letzter Minute in meinen Rucksack gepackt. Das ist eine richtige Entscheidung gewesen. Jetzt bin ich so froh darüber. Und nun, zurück in Deutschland, ein sechstes Mal gewaschen und befreit vom Staub unseres Caminos, stehen sie in meinem Schuhregal und sprechen zu mir: „Dass du uns nicht vergisst bei deinem nächsten Camino!“ – „Nein, das werde ich nicht.“

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

 

Navia - Tapia de Casariego

 

 

 Der Tag ist zweigeteilt: Zunächst laufen wir von Navia aus durch Wäldchen und kleine Dörfchen einfache Wege und Pfade, stets hoch und runter. Mein Meniskus warnt mich, besonders beim Abwärtsgehen meldet er sich beständig. Daher laufen wir die zweite Etappe entlang der Nationalstraße N-634. Sie steigt gleichmäßig an ohne große Ups and Downs. - Diese Nationalstraße führt den Autofahrer übrigens von San Sebastian nahe der französischen Grenze bis nach Santiago de Compostela. - So schaffen wir doch unsere 21 km, sind jetzt aber auch geschafft.

 

 Müde kommen wir in Tapia de Casariego an, einem bezaubernden Küstenörtchen. Wir freuen uns sehr, dass wir das alles trotz unserer Wehwehchen schaffen. Der Himmel dankt unserem Engagement und verschenkt Kraft, die uns selbst erstaunt. Auch begegnen wir „Engeln am Wegesrand“, herzensguten Menschen, die uns weiterhelfen bei Fragen und Problemen. Ein Mann bietet uns an, uns wegen des Regens zum nächsten Etappenziel zu fahren, doch wir lehnen freundlich ab, das lässt unser Pilgerstolz nicht zu … Es tut aber so gut, solchen Menschen zu begegnen. Und ich nehme mir einmal mehr vor, freundlich und hellhörig zu sein Menschen gegenüber, die auf Hilfe angewiesen sind. Auch wir sind immer einmal wieder im Leben Fremde und wir sind auf Freundlichkeit angewiesen. So wie jetzt auf dem Camino. Dies ist eine heilsame Erfahrung!

 

 In Tapia de Casariego bleiben wir für zwei Tage, weil wir unsere feuchte Wäsche unbedingt waschen und trocknen müssen. Der Besitzer des kleinen Hotels ist rührend um unser Wohl besorgt und leitet unsere Schmutzwäsche in eine Wäscherei weiter. Schön gebügelt und zusammengelegt, in drei Plastiktüten verpackt, bekommen wir sie sauber und trocken zurück. Das Ganze kostet uns unglaubliche fünf Euros, fast geschenkt, ohne einen Finger gekrümmt zu haben! Sonst müssen wir unsere Kleidung immer selber waschen und trocknen. Der gleiche Mann steht, wann auch immer wir das Hotel betreten oder verlassen, bereit, um uns die Tür zu öffnen. Er gibt uns auch einen tollen Tipp, wo wir phantastisch essen können. Dort werden wir bewirtet wie die Könige. Ausnahmsweise probiere ich dort sogar ein paar Tintenfische. Sie schmecken gar nicht so schlecht … Danke hier nochmal an unseren mustergültigen Hotelier!

 

 

 

© Franka Frieß

Und da soll man abnehmen?

 

 

 

© Franka Frieß  

Blick von unserem Restaurant auf das verregnete Tapia de Casariego

 

 

Unten siehst du ein anrührendes Monument zur Erinnerung an jene, die auf hoher See gearbeitet, gekämpft, gelitten haben - und geblieben sind. Meine Schwester, die lange in Irland gelebt hat, schreibt mir, dass es auf der grünen Insel viele solcher Denkmäler gibt. Das Meer gibt, das Meer nimmt … Hier in Tapia de Casariego ist der Respekt vor dem Meer groß und die Trauer um die Toten und Verschollenen allgegenwärtig. Es gibt Tafeln, an den Haus- und Felswänden angebracht, die die traurige Geschichte von Nicht-Heimgekehrten erzählen. Mein Mann und ich stehen davor und lesen sie mit Anteilnahme und Respekt.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Jenseits von uns liegen grob gesagt: die Bretagne, Cornwall, England und Irland. Meiner Freundin aus der Nähe von Canterbury sende ich einige Fotos von Tapia de Casariego. Sie schreibt, dass sie diese Bilder aus Nordspanien an ihre englische Heimat erinnern. Das wundert mich nicht.

 

 

 

Tapia de Casariego - Ribadeo

 

 

Wir verlassen die Provinz Asturien, einst das „Königreich Asturien“, und kommen in die Autonome Gemeinschaft Galicien, welche sich wiederum in vier Provinzen untergliedert. Man unterscheidet übrigens zwischen „Galicien“ in Nordwestspanien und „Galizien“ in Südpolen und in der Westukraine! Etwas verwirrend für uns! 

 

 Wir sind gute 15 km gepilgert und kommen jetzt in Ribadeo an - über eine fast 1 km lange Brücke, die Asturien mit Galicien verbindet. Auf ihr wird mir leicht übel, zumal uns eine Frau auf dem engen Fußgängersteg entgegenkommt, die merkwürdig sperrige Pflanzen mit sich trägt, welche wie Kraken nach mir zu greifen scheinen. Man fragt sich unwillkürlich, warum jemand solche Ungetüme per pedes von West nach Ost trägt, noch dazu auf einer so langen Brücke? Sind das Sonderangebote in Ribadeo/Galicien, die es in Asturien nicht gibt? Vielleicht hat diese ältere Frau kein eigenes Auto, ist nicht die Reichste im Land und erfreut sich ihrer Schnäppchen, die sie in Ribadeo gemacht hat? Die wichtigste Frage allerdings ist, je näher ich der Frau komme: Wer geht auf der Außenseite am Geländer entlang mit Blick in die Tiefe?

 

Die Spanierin drückt sich schließlich an das Gitter, das die Auto-Schnellstraße vom Fußgängerweg trennt, während sie stehen bleibt. Mir bleibt die heikle Aufgabe, mich mitsamt Rucksack an der Außenseite des Geländers an ihr vorbei zu zwängen, mein Mann im Gefolge, unter uns das Meer ... Mein lieber Gefährte sagt sogar noch `Gracias´ zu der Frau! Diese Höflichkeitsfloskel habe ich in diesem Moment - trotz meiner, so glaube ich, guten Kinderstube - tatsächlich vergessen. Mir sträuben sich die Nackenhaare und sie tun es auch jetzt, während ich das alles niederschreibe.

 

Ribadeo schließen wir sofort in unser Herz. Es gefällt uns gut mit seinen Kopfsteingässchen, seinen winkeligen und versteckten Straßen und den kleinen Kneipen voller Leben. Gleichzeitig hat es moderne Geschäfte mit allem, was man zum Leben braucht. Wir entspannen bei vino tinto (Rotwein), mein Mann genießt den pulpo (Tintenfisch) und ich ein Gericht ohne Meerestiere, denn die sind mir normalerweise suspekt ...

 

 

  © Franka Frieß

 

Es gibt in Nordspanien übrigens kaum Weißbrot wie sonst eher üblich in Spanien, sondern Graubrot, das fast so schmeckt wie in Deutschland. Auf dem Foto kannst du es sehen. Auch stellen wir erstaunt fest, dass die asturischen und galizischen Gerichte wenig mit Knoblauch gewürzt sind. Wir aber sind bislang der Meinung gewesen, dass die spanische Küche generell großzügig diese von uns geschätzte Knolle verwendet.

 

Und der Kaffe in Spanien? Erste Sahne! Ich habe nie einen dünnen  Kaffee dort getrunken. Er war immer kräftig und aromatisch, ganz nach unserem Geschmack.

 

Auch das Gebäck hat es in sich! Wir haben ein Konditorei- und Bäckereilädchen, eine sogenannte Panadería, in einer Seitengasse entdeckt, wo wir tüchtig zulangen. Geheimtipp für jeden Caminopilger!

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Wir müssen, nein dürfen, eine Nacht länger in der Küstenstadt Ribadeo bleiben, weil die nächste Unterkunft entlang unseres Weges auf Grund eines Festivals ausgebucht ist. Wir nehmen diese Verlängerung dankend hin, denn wir scheuen den Abschied vom Meer - es soll nun nämlich weiter gehen ins Landesinnere. Wir müssen schon bald Adieu sagen zu Wellen und Gischt, zu Möwengeschrei und schaukelnden Booten.

 

Außerdem wohnen wir in einem hübschen preiswerten Hotel, direkt am Meer liegend, und nur einen Katzensprung von der Innenstadt entfernt. Ein richtiger Volltreffer! Mit dem hilfsbereiten Rezeptionsangestellten Marco plaudern wir immer wieder gerne. - Ein Mann mit Gemüt. - Er gibt uns einen tollen Wandertipp zu einem Leuchtturm in der Nähe, den wir gleich am nächsten Tag besuchen. Wir wissen mit Sicherheit, dass wir dieses kleine Hotel wieder buchen werden, wenn wir wieder hierher kommen ... Klar, den zusätzlichen Tag in Ribadeo nutzen wir auch, um „unserer Panadería“ einen allerletzten Besuch abzustatten! Die Angestellte kennt uns schon und lächelt. Wir loben wiederholt ihre Kuchen, Teilchen und selbstgemachten Süßigkeiten. Wir setzen uns auf eine der nahegelegenen Bänke und genießen unsere Köstlichkeiten während wir dem Treiben in der Stadt zusehen.

 

Am Sonntag in der Kirche entdecke ich diesen Heiligen mit Hund, der es mir angetan hat. Ein Pilger - so wie wir - mehr konnte ich zunächst nicht über ihn herausfinden. Mein Bruder sendet mir Infos über Whatsapp. Ich weiß nun, dass dies der Heilige Rochus ist, der aus reichem Elternhaus in Montpellier stammte. Als Zwanzigjähriger verlor er Mutter und Vater, verschenkte daraufhin sein ganzes Vermögen an Bedürftige und trat bei den Franziskanern ein.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Als Pilger auf dem Weg nach Rom pflegte er im Jahre 1317 Pestkranke. Der Legende nach heilte er viele, indem er ihnen ein Kreuz auf die Stirn zeichnete. Als er selbst an der Pest erkrankte, fand sich niemand, der ihn pflegte. Undank ist der Welten Lohn! Er zog sich in eine einsame Waldhütte zurück. Dorthin brachte ihm ein Hund täglich Brot. Nach seiner Genesung heilte er weiterhin viele Pestkranke. Als er nach der Pilgerschaft in seine Heimatstadt Montpellier zurückkehrte, erkannte man ihn nicht aufgrund der Narben durch die Pest. Er wurde als vermeintlicher Spion in den Kerker geworfen, wo er fünf lange Jahre in Gefangenschaft leben musste bis er starb. Nach seinem Tod identifizierte man den verarmten Fremden anhand eines kreuzförmigen Muttermals auf der Brust als Rochus von Montpellier, der auch noch aus allerbestem Hause stammte.

 

 Dieser heilige Rochus von Montpellier ist unter anderem Patron der Kranken, der Ärzte und der Pilger. Seine Attribute sind der Hund mit dem Stück Brot, der Pilgerstab und der Pilgerhut. Sein Gedenktag ist der 16. August, der überlieferte Todestag.

 

Nach diesem kleinen Exkurs geht es weiter mit meinen Reisenotizen:

 

 

 

Ribadeo - Villamartín Grande

 

  

Oh, was ist das für ein anstrengender Tag! Nur etwa 20 km, jedoch mehr als erwartet, teils bergauf und bergab, hoch und runter, der Weg will und will nicht enden. Wir gehen lange Etappen ohne einen klaren Wegweiser. Außerdem quält mich die Frage: Führen die uns zickzack? Sind das nicht Umwege, die wir gehen? Das Kulturamt oder wer auch immer diese Pilgerwege hier gestaltet, plant und markiert, will uns zu kulturellen und naturbezogenen Heiligtümern führen und zieht dadurch unsere Tagesetappe mit Bögen und Schleifen in die Länge. Ehrlich gesagt, ich bin einfach nur müde und will in die nächste Unterkunft. Ich pfeife momentan auf Kultur- und Naturhighlights! Am Schluss unserer Tagesetappe entdecke ich eine kleine asphaltierte kurze Verbindungsstraße von einem Punkt aus, an dem wir uns bereits vor einer guten Stunde befanden. Das wäre der normale Weg gewesen. Der hätte es auch getan, denke ich etwas enttäuscht. Wir müssen ja täglich mit unseren körperlichen Ressourcen haushalten und sehen, wie wir hinkommen. Und Umwege müssen nicht sein.

 

Irgendwie ist die Routenführung in Galicien komplizierter als in Asturien. Das fällt mir während des Schreibens auf. Ob andere das auch so sehen? Muss mal meinen Mann fragen. Er kann dies nicht bestätigen. Einig sind wir uns jedoch, dass in Galicien die Wegweiser regelmäßiger als in Asturien angebracht sind. Diese Etappe heute von Ribadeo nach Villamartín Grande ist allerdings die Ausnahme von der Regel, denn wir müssen mehrmals nach Wegweisern suchen.

 

 

 

 © Franka Frieß

Irgendwo zwischen Ribadeo und Villamartín Grande

 

 

 Wir kommen endlich in der Herberge von Villamartín Grande an, die all unsere bisherigen Unterkünfte in den Schatten stellt. Wir werden belohnt! Sie ist liebevoll eingerichtet, mit Herz. Alles ist picobello sauber und gut organisiert. Im angrenzenden kleinen Laden gibt es köstlichen frisch gebackenen Kuchen, Kaltgetränke und Souvenirs. Wir setzen uns für eine Cola an einen kleinen runden Tisch vor dem Lädchen. Mein Mann kauft seinen Pilgerhut, von dem er schon lange schwärmt. Unterwegs hat uns ein deutsches junges Pärchen überholt, jetzt haben wir es wieder überholt, denn die beiden kommen an der Herberge erst nach uns an. Ich bin sooo stolz, dass WIR schneller sind als dieses junge Paar, dabei hätte ich unterwegs sterben können vor Erschöpfung. Ich habe heute unser Unterfangen ernsthaft in Frage gestellt. Zu alt für sowas, zu unsportlich, zu naiv, zu viele Schrammen und Wehwehchen. Autsch. Mein Mann hat den Camino ebenfalls verwünscht. Wir hätten am liebsten aufgegeben. Da ist die Erfahrung mit dem jungen Pärchen genau richtig für unsere geschundenen armen Seelen und alten Körper! Aber eine Stimme in mir mahnt: Vielleicht hat das deutsche Pärchen eine längere Rast gemacht oder einen Umweg genommen? Naja, heute brauche ich diesen Trost.

 

 Der junge Herbergsvater, er zaubert uns am Abend das köstlichste spanische Menü, das wir in den vier Wochen genossen haben - nichts geht über Hausmannskost! Minestrone, eine spanische Gemüsesuppe, Paella, eine Reispfanne mit Meeresfrüchten und Dessert mit Crème fraîche und Kirschen. Mmh!

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Wir sitzen mit einer lustigen Polin aus Katowice, ihr Name ist Teresa, beim Abendessen zusammen, die genauso kräftig zulangt wie wir. Bei den Meerestieren passe ich allerdings, das ist nicht so meins. Die Frau mittleren Alters erzählt, dass sie ihre Reiseerlebnisse für eine Zeitung niederschreibt. Ihr begegnen wir noch mehrere Male, machen unterwegs Fotos und Selfies. Ich würde mich nicht wundern, wenn irgendwo in einer polnischen Zeitung unser Dreierfoto auftauchen würde. Leider vergessen wir, unsere Telefonnummern auszutauschen, sind „nicht auf Zack“. Jetzt finde ich das sehr schade.

 

In dieser Unterkunft lernen wir auch eine Pilgerin aus Oberbayern kennen. Wir treffen sie zunächst am Morgen in der Küche und dann einige Male an verschiedenen Rastplätzen unserer Tagesroute. Die Frau, um die 70 Jahre, wirkt sehr sportlich. Sie sucht das Gespräch, sie ist eine ausgesprochen offene Person. Es sprudelt nur so aus ihr heraus  - alles auf Bayrisch - als sie erzählt, dass sie ihren ersten Camino abbrechen musste, weil ihr rechtes Auge Probleme bereitet und der „Professor“ ihr dringend geraten hatte, bei Auffälligkeiten den Camino abzubrechen. Was sie denn auch tat. Mittlerweile musste dieses kranke Auge entfernt und ein künstliches eingesetzt werden. Oh! Ich habe nichts Auffälliges bemerkt! Nun wandert sie also den fehlenden Part ihres abgebrochenen Caminos und gibt nicht auf. Sie sagt, sie wolle ihren Pilgeweg unter allen Umständen zu Ende bringen und tut alles, um diesen ihren Traum zu verwirklichen. Just am Morgen des Gespräches in der Küche hadere ich mit meinen eigenen Augenproblemen infolge einer Operation, bin unzufrieden wegen der täglich einzunehmenden Augentropfen und Augensalbe und wegen der momentan ständig zu tragenden Sonnenbrille. Das ist nun die Antwort für mich: Diese Frau hat weit größere Probleme, klagt nicht und versucht damit zu leben.

 

Der alte Herdofen in der Küche unserer Herberge hat's mir angetan. Hier ein Beweisfoto, das auch einen Eindruck vermittelt von der super Organisation und der Sauberkeit in der gesamten Unterkunft.

 

 

 © Franka Frieß

 

Unten bekommst du einen Einblick in den malerischen Garten der kleinen Herberge:

 

 

               

                                                                        © Franka Frieß

 

 

Villamartín Grande - Mondoñedo

 

           

Es werden, seit wir in Galicien sind und je mehr wir uns unserem Ziel nähern, immer mehr Pilger. - Woher kommen all diese Leute? Aus Oberbayern, Heidelberg, Norddeutschland, Rheinland-Pfalz, Madrid, aus Polen und der Slowakei, aus Schweden, Dänemark, Norwegen, den USA, Kanada, Neuseeland und, und, und.

 

Hier in Galicien wird auch stets der genaue Abstand zu Santiago angegeben. Wir sind jetzt 152 km vom Ziel entfernt, haben also schon fast die Hälfte! Ich teile unsere Fortschritte meinen Lesern in Deutschland mit.

 

 Wir kommen auf unserem Weg kurz vor Lourenza durch ein zu 90 Prozent verfallenes Dörfchen, dazwischen gibt es wenige bewohnte Häuser. Diese Leute tun mir irgendwie leid. In einem lebt ein altes Ehepaar mit Hund. Sie sitzen zufrieden vor ihrem Haus und warten, ja warten … „Worauf warten die beiden Alten?“ Das fragt mich meine Freundin über Whatsapp. „Hauptsache, sie sind vergnügt! - Bringen die Pilger denn gar kein Geld in die Dörfer?“ Das frage ich mich auch. Es gibt doch Touristen, und wir bringen Geld hierhin! Trotzdem ist die Region streckenweise ganz schön arm. Die Landflucht ist verständlich aufgrund der Unwegsamkeit des bergigen Geländes. Die jungen Leute ziehen in die Städte. „Toll aber, dass ihr fast die Hälfte geschafft habt. Bald seid ihr in Santiago de Compostela!“ Meine Freundin spricht uns Mut über Whatsapp zu.

 

 

                                 

 © Franka Frieß

 

Einsam und verfallen, das kleine Dörfchen bei Lourenza.