Womit beginnt eine Reise?

 

 

 Erinnerungen unserer Pilgerschaft nach Santiago de Compostela

 

 

Teil II

 

 

 

 

Mondoñedo - Abadín

 

 

 

Wir übernachten in dem hübschen Städtchen Mondoñedo. Die Kathedrale hätten wir gerne von innen gesehen, aber sie ist geschlossen. Die meisten Kirchen werden nur zu Gottesdienstzeiten geöffnet. Wirklich frustrierend! Aus meiner fränkischen Heimat kenne ich das anders und ich besuche gerne unsere schönen alten Dorfkirchen oder die spätbarocke Klosterkirche meines Heimatortes, unsere Hochzeitskirche. Dabei tanke ich auf. Ich entdecke auch immer wieder in versteckten Winkeln meiner Heimat alte Kirchen. Das alles fehlt mir hier sehr. „Unsere oberbayerische Pilgerin“ kennt dies aus ihrer Heimatstadt übrigens auch anders.

 

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Am nächsten Morgen treffen wir zunächst Teresa aus Katowice, die in die Kathedrale, so wie wir, hinein will. Vergeblich! Auch sie ist enttäuscht. Sie erzählt von ihrer Übernachtung im nahegelegenen Seminar. Etwas weiter dann sehen wir „unsere Oberbayerin“. Sie wartet auf uns am Fuß einer steil ansteigenden Straße und wir plaudern ein wenig. Sie zeigt mir das Foto ihrer Enkelkinder auf dem Desktop ihres Smartphones, bevor sie die anstehende Route auf Google erklärt. Danach zischt sie ab, nicht ohne uns daran zu erinnern, dass die vor uns liegende Etappe sehr lange und außergewöhnlich hart sei. Ich seufze. Sie läuft mit ihren beiden Stöcken los und ist schon bald nicht mehr zu sehen, mit einer Energie, die uns beide, meinen Mann und mich, in den Schatten stellt. Ich bin sicher, sie hat Santiago de Compostela lange vor uns erreicht. Was für eine tatkräftige und mutige Frau!

 

Die Tatsache, dass wir diese zwei netten Frauen aus Bayern und Katowice nicht wiedertreffen, liegt an uns, denn wir legen immer mal einen Pausentag ein. Sie hingegen gehen mit Vorsprung ihrem Ziel entgegen.

 

 Der Tag ist so anstrengend, dass ich am Abend nicht zu einer Collage für meine Familie fähig bin. Er ist zusammen mit unserem allerersten Tag der anstrengendste! Hoch und runter, extrem sonnig, lange Etappen ohne Schatten, keine Sitzmöglichkeiten, nur wenige Baumstümpfe oder Möglichkeiten zum Anlehnen. Sitzen mitten auf dem Weg ist angesagt, man wird ja bescheiden! Und selbstverständlich gibt es heute auf diesem Weg auch keinerlei Einkehrmöglichkeiten. Die Frau aus Oberbayern hat uns am Morgen ja schon vorgewarnt ... Aber da treffen wir auf einen Engel am Wegesrand: ein sehr betagter, uns und den Menschen wohlgesonnener Mann, der uns Gebirgswasser anbietet.

 

Der alte Bauer führt uns zu einer versteckten Wasserstelle seines Hofes. Wir trinken vom kühlen Gebirgswasser, das aus einem dünnen Rohr läuft, köstlicher als Wein! - und plaudern, so gut wir können, denn er spricht in starkem Dialekt und sein Mund ist etwas eingefallen, es fehlen ihm Zähne. Beim Abschied bietet er uns nicht ohne Stolz an, dass wir, wenn wir wiederkommen, seine Wasserstelle nutzen dürfen, auch ohne zu fragen.

 

 

© Franka Frieß 

Ein Lichtblick auf unserem strapaziösen Weg nach Abadín

 

 

 Völlig erschöpft kommen wir abends in einer -  Gott sei Dank - netten Herberge in Abadín  unter, und ich stelle wiedermal die gesamte Pilgerei in Frage.

 

Am nächsten Morgen treffen wir im Frühstücksraum auf Menschen aus aller Herren Länder. Joe und seine Frau aus Neuseeland sind unter ihnen, die bereits ihren zweiten Camino in Folge auf dem Fahrrad absolvieren. Das nehme ich ihnen sofort ab, denn sie wirken sehr drahtig und fast ein wenig ausgemergelt.

 

Da ich als allererste sehr früh an diesem Morgen den Frühstücksraum betreten und die Kaffeemaschine ausgetüftelt habe, zeige ich den anderen, wie sie funktioniert. - Was für ein positives Erlebnis! Joe geht herum und bietet freundlich, mit einem gewissen Nachdruck, Magdalenas aus einer großen Dose an. Jede/r greift beherzt zu. Magdalenas - man möchte sie fast „Nationalgebäck“ nennen - fehlen übrigens bei keinem spanischen Frühstück … Wir mögen das Gebäck eigentlich, doch diese Muffins sind ziemlich trocken und schmecken nicht. Wir müssen unsere Magdalenas mit Kaffee runterspülen und lehnen noch eine zweite - wie die anderen Pilger auch - dankend ab. Im Nachhinein spreche ich mit meinem Mann über die Frühstücksszene. Wir haben beide denselben Verdacht. Joe wollte die Dinger loswerden … That`s it.

 

 

Abadín  – Villalba

 

 
Wir sind heute ungefähr 20 km unterwegs, auf unserer Tagestour treffen wir auf ein verwittertes Wegekreuz und verweilen hier ein wenig. Das Kind auf dem Foto, Santi, ist anscheinend gestorben. Ich lege einen Stein dazu und gedenke all der Kinder auf der Flucht, im Krieg, missbraucht, abgetrieben, aussortiert, ungeliebt, auch der Mütter, die weltweit in Trauer um ihre verlorenen Kinder sind. Was können WIR tun, um das Elend zu verringern?

 

 

 

 © Franka Frieß

 

 

Am Abend nächtigen wir in einem eher mittelmäßigen Hotel in Villalba, wo ich aber immerhin eine Sitzwanne zur Verfügung habe und ein ausgedehntes Bad nehmen kann - wie herrlich! Unterdessen besorgt mein treuer Gefährte Essen im nahegelegenen Supermarkt - danke!

  Villalba - Baamonde

 

 

Auf unserem weiteren Camino werden die Schmerzen meines Pilgergefährten unerträglich. Er humpelt und geht extrem langsam, macht viele Pausen. Die Fußsohlen sehen schlimm aus. Die Blasen haben es wirklich in sich, und wir bekommen sie inzwischen nicht mehr unter Kontrolle. Sie gehen ineinander über und werden zu einer einzigen Riesenblase an jedem Fuß. Mein Gefährte tut mir von Herzen leid! Am Nachmittag bemühe ich mich, die Fußsohlen mit Desinfektionsspray und Wundsalbe zu behandeln. Der Versuch, sie aufzustechen, bringt nichts. Ich lege Bandagen an.

 

 Wir sitzen jetzt fest in unserem Apartment in Baamonde und buchen es für eine weitere Nacht, in der Hoffnung, uns zu regenerieren und die riesigen Blasen abklingen zu lassen.

 

 So wie wir, sitzt draußen vor der Tür auch diese Katze fest. Sie verweilt stoisch in der fotografierten Position auf einem Mäuerchen gegenüber unserem Apartment. Ihr Auge ist krank, armes Tier!

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Das `Dorf´ Baamonde ist auf den ersten Blick nur ein Verkehrskreisel mit Apotheke und Café, mit zwei kleinen Supermärkten, wo du alles Lebensnotwendige bekommst, mit einem interessanten Ramschladen, einem kleinen Bahnhof und etlichen Unterkünften. Es scheint ein Verkehrsknotenpunkt für Pilger zu sein, denn hier stehen seine Bedürfnisse im Mittelpunkt.

 

 

 © Franka Frieß

 

Wir beobachten eine große Gruppe junger Leute, die Amerikanisch, Kanadisch, Australisch oder Neuseeländisch sprechen, ich kann es nicht einordnen. Im Café unserem Apartment gegenüber ruhen sie sich aus, legen die Füße hoch und scheinen einen Kaffee nach dem anderen zu trinken. Der eine kommt, der andere geht, man begrüßt sich. Einer der jungen Leute fällt mir auf, ein dicker, junger Mann Mitte zwanzig vielleicht, ein Spaßvogel, der die anderen um sich sammelt aufgrund seiner leutseligen Art. Er ist auffällig mit einer braunen, wollenen Pelerine bekleidet. - Ich sehe unter diesem Wort, das mir in den Sinn kommt, im Duden nach und lese, dass es sich um einen Schulterumhang handelt, einem Cape ähnlich. Das Wort kommt vom französischen „pèlerine“, Pilgerin. Aha, denke ich. - Der Spaßvogel hat einen großen Rosenkranz am Gürtel hängen. Vielleicht ist es ein Mönch oder er will einer werden? Apropos auffällig gekleidet - wer ist das unter uns Pilgern nicht? Wir fallen zunächst durch unser Schuhwerk auf. Viele laufen nach dem Pilgern am Nachmittag in einfachen Flipflops mit oder ohne Socken herum. Die Kopfbedeckungen der Pilger sind manchmal auch sehr lustig! Wir sehen zum Beispiel koreanische Pilgerinnen, die ihr Gesicht mit einer Art Stoffmütze plus Scheuklappen rechts und links vor der Sonne schützen. Die sehen schon skurril aus, und ich muss mir ein Lachen verkneifen, vor allem, weil sie wie ernste, tiefreligiöse Nonnen, als wär`s im Mittelalter, ihren Pilgerweg beschreiten. Für sie scheint diese Kopfbedeckung normal. Auch die Regencapes machen aus den Pilgern lustige Gestalten - in der Ferne sehen sie wie wandelnde Vogelscheuchen aus. Im Foto unten siehst du mich in meinem „Regenkostüm“. Was mögen wohl die Einheimischen über uns denken?

 

 

 © Franka Frieß

 

 Aber wir alle sind doch recht genügsam und beschweren uns nicht. Wie auch? Jeder weiß, dass er oder sie mal in der Position ist, eine Kleidung zu tragen, die das Auge des Betrachters beleidigt. Not macht bekanntlich erfinderisch ... Ich könnte hier noch manch lustiges Beispiel beisteuern ...

 

 Zurück zu unserem kleinen Baamonde: Während der ganzen Nacht ist die Apotheke vis-à-vis in einem grellen Neongrün angestrahlt. Die Stromrechnung des Apothekers möchte  ICH nicht bekommen!

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Am Montagmorgen - endlich ist das Wochenende vorbei und die Geschäfte wieder offen - beobachten wir, wie sich kurz vor halb 10 eine ansehnliche Menschentraube vor der Apotheke anhäuft, um sich einzudecken mit Heftpflastern, Bandagen, Desinfektionssprays usw. Wir grinsen aus dem Fenster unseres Apartments. Nun verlässt auch mein Mann vorsichtig und langsam schlurfend das Haus und gesellt sich zu den Wartenden, um sich ebenfalls „pilgerfest“ zu machen. Mit speziellen Geleinlagen, die den Druck auf die Blasen verringern sollen, kommt er zurück, um einige Euros erleichtert. Er hat in einem kleinen Ramschladen auch billige Badesandalen erworben mit dicken, weichen Schaumstoffsohlen. Juhu, jetzt dürfen wir einen kleinen Spaziergang ins Dorf wagen. Um die Ecke finden wir eine wunderschöne alte Kirche, die leider geschlossen ist, wie so viele Kirchen hier ... Ich habe das ja schon erwähnt.

 

 

 © Franka Frieß

 

Morgen dann können wir nach unserer zweitägigen Pause weiterpilgern ...

 

 

 

Baamonde - Casanova

 

 

Die Gegend zwischen Baamonde und Casanova ist arm und wenig bewohnt, die alten Häuser sind meist verfallen. Ab und an taucht ein villenähnliches Haus im Mallorca-Stil auf, mit englischem Rasen umgeben, liebevoll von einem Mähroboter gepflegt … und oft von einem, zwei, drei Hunden bewacht, die grollend ihr Grundstück verteidigen. Galicien ist nicht ganz so picobello wie Asturien, das hebt die Stimmung kaum, zumal auch die verfallenen Häuser auf die Laune drücken. Die könnten doch wieder hergerichtet werden, so wie unser letztes Apartment in Baamonde, denke ich mir.

 

In einem kleinen Weiler treffen wir auf die jungen Pilger aus Baamonde und auf zwei deutsche Frauen. Gemeinsam stehen wir vor einer großen Infotafel und überlegen, ob wir nach rechts oder links gehen sollen. Links belebte Variante, rechts Einsamkeit. Unser kleiner Reiseführer sagt uns, wir sollten uns genau überlegen, welche der beiden Routen man sich zutraue. Er rät dringend, genügend Wasser und Proviant mitzunehmen, falls man sich für die einsame Variante entscheidet. Da diese kürzer ist und wir unsere Füße schonen wollen, nehmen wir die Abbiegung nach rechts. Wir sparen so einige Kilometer. Die anderen Pilger gehen alle die belebtere Route mit Bars und Einkaufsmöglichkeiten.

 

So kommen wir beide in der zweiten Tageshälfte durch extrem einsame, unbewohnte, karge Landschaft. Wir treffen auf dem Weg durch die Steppe lediglich Erika - Erika das Heidekraut! Keine einzige Menschenseele sehen wir, wir hören nur auf den letzten Kilometern Gekläff, denn hier muss es eine Art Hundeschule geben mit Terrain zum Üben für die Tiere. Das Gebell beruhigt, denn wo Haustiere sind, sind auch Menschen. Manchmal wähnen wir uns in Schweden, wohin wir oft gereist sind, wären da nicht die Eukalyptusbäume - im Wechsel mit dem Heidekraut.

 

 Wir werden in einem winzigen Weiler namens Casanova übernachten. Diesen Ortsnamen gibt es in Spanien recht häufig. Er heißt übersetzt `neues Haus´ oder `Neuhaus´. Ich bin gespannt, ob wir in dem kleinen Weiler einem Casanova begegnen und wie der wohl aussehen mag. Wir witzeln herum, wir haben ja genug Zeit dafür, und lenken uns ab von dem Gedanken `Was passiert, wenn einer stürzt oder sich den Fuß verstaucht?´ Diese nachmittäglichen Stunden unseres Pilgerweges zwischen Baamonde und Casanova sind voller Tristesse. Wir reden wenig und hängen unseren Gedanken nach, und ich verfange mich in traurigen Erinnerungen.

 

Nach vier monotonen Stunden treffen wir an der gebuchten Unterkunft ein und begegnen unserem persönlichen Empfangscasanova, einem freundlichen jungen Spanier, um die zwanzig, in verbeulter Jogginghose und T-Shirt. Er führt uns zu unserem Zimmer.

 

Übrigens: Der echte Giacomo Casanova lebte im 18. Jahrhundert in Italien. Er war Schriftsteller und Abenteurer, der sich die Gunst vieler Frauen erwarb. Der Duden definiert das später sprichwörtlich gewordene „Casanova“ als „jemand, der es versteht, auf verführerische Weise die Zuneigung der Frauen zu gewinnen“.

 

 

 

  Casanova - Sobrado dos Monxes

 

 

 Weiter geht es in Richtung Sobrado dos Monxes. Gleich am Ortseingang stoßen wir auf diese wunderschöne Tafel, an der Herberge „vom Onkel Anton“ angebracht. Darunter ein kleiner „Wunschbrunnen“. Find´ ich toll, denke ich bei mir, der gute Onkel hat sich das was kosten lassen! Die Datumsangabe 25. Juli M.M.X.IX., also 25. Juli 2019, bezieht sich auf den Gedenktag von Sankt Jakobus. Auch ich habe einen Onkel Anton, den ich allerdings nie kennenlernen durfte, weil er im 2. Weltkrieg in Russland gefallen ist ...

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Leider bekommen wir im uralten Zisterzienserkloster, welches bereits im 10. Jahrhundert von den Benediktinern gegründet wurde, keine Unterkunft, obwohl wir zuvor hingeschrieben und auf Anrufbeantworter gesprochen haben. Wir haben uns so darauf gefreut und sind überrascht, denn der Internetauftritt verspricht etwas ganz anderes: Unterkunft, Verpflegung, Rast für Pilger. Wir monieren das an der Rezeption. Die freundlichen Freiwilligen, die hier im Klosterladen arbeiten und sich sehr um unser Anliegen bemühen, können zu der Misere nichts. Wir sind etwas enttäuscht von dieser „klösterlichen Gastfreundschaft“.

 

 So nächtigen wir in einem sehr netten kleinen Hotel direkt am Hauptplatz vor dem Kloster. Die hilfsbereite Empfangsdame zeigt uns freundlicherweise alles im Frühstücksraum und erklärt mir genau, wie der Kaffeeautomat funktioniert. Beim Frühstück am nächsten Tag - die Gäste stehen davor wie der Ochs vorm Berg -  zeige ich selbstbewusst, wie die Kaffeemaschine funktioniert. Glück ist so einfach!

 

Das alte Kloster und der kleine Ort sind ein Traum. Wir besuchen die Vesper, das Nachmittagsgebet, an beiden Tagen, die wir an diesem magischen Ort verweilen dürfen. Der Gesang der Mönche geht zu Herzen. Was für eine Sehnsucht liegt darin! Wunderschön! In der Vesper sehen wir unter den mitfeiernden Gästen auch den lustigen Bruder aus Baamonde wieder, der mit dem großen Rosenkranz.

 

 


 © Franka Frieß

 

Unten, der Engel mit der Posaune im Kloster Sobrado dos Monxes. Ist er nicht wunderschön?

 

 

 

© Franka Frieß

 

 

Sobrado dos Monxes - Arzúa

 

 

 

Morgens verlassen wir sehr früh Sobrados. Wir sollen am Abend bei Arzúa auf den französischen (Haupt)-Weg stoßen und sind etwas skeptisch, wie das wohl werden wird. Viel mehr Pilgern und Pilgerinnen und viel mehr Wandersleuten als bisher werden wir dort mit Sicherheit begegnen. Gott sei Dank sind es nur zwei Tagesetappen auf diesem bevölkerten Abschnitt bis Santiago de Compostela.

 

 Unten, die kleine Kapelle am Wegesrand wird von einer Italienerin aus Rom betreut, die mit uns konsequent Italienisch spricht, kein Spanisch. Die lebhafte Frau winkt bereits von weitem. Man kann sie nicht übersehen und überhören, denn sie ruft laut etwas, was sich für uns nach „Stempel“ anhört und schwenkt dabei einen Stempel hin und her. Sie weiß, dass jeder Pilger erpicht darauf ist für seinen Pilgerausweis, der dann wiederum als abschließende Vorlage dient im Pilgerbüro, um die ersehnte Pilgerurkunde „Compostela“ zu bekommen. Täglich öffnet sie für die vorbeikommenden Pilger die schöne Kapelle. Sie und ihre Tochter arbeiten hier als Volontärinnen für drei Wochen. Wir sind der temperamentvollen Römerin sehr dankbar und geben einen Obolus für den Erhalt des Kirchleins. Ohne sie wären wir an dieser verschlossenen Schönheit vorbeigezogen!

 

 

 © Franka Frieß

 © Franka Frieß

 

 

Auf dem Weg nach Arzúa treffen wir ein paarmal auf zwei junge deutsche Pilger und plaudern locker miteinander. Er spricht mit bayerischem Zungenschlag, sie hochdeutsch. Wir erzählen, dass wir aus Franken kommen. Er sagt, er sei aus der Nähe von Ingolstadt, sie dagegen betont, sie sei von „überallher“. Auf Nachfrage lässt sie sich ihre Herkunft partout nicht entlocken. Ich kann mich täuschen, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass die junge Frau aus Ostdeutschland stammt. Auch mein Mann, den ich dazu befrage, teilt meine Meinung. Falls das also stimmen sollte, finde ich es sehr schade und bedenklich, wenn eine Person aus Ostdeutschland sich nicht „outen“ will aus Angst vor Vorurteilen. Und ich frage mich, wie steht es um uns Deutsche - Wessis wie Ossis? Wie gehen wir miteinander um, in welche Schubladen stecken wir unsere Landsleute?

 

 In dem quirligen Städtchen Arzúa kommen wir unter in einer Unterkunft mit dem Namen „Pension Luis“. Ein naher Verwandter heißt so und wir freuen uns sehr, ihm das Foto der Unterkunft zu senden. Später treffen wir noch auf die „Bar Luis“ und das „Café Luis“. Dieser „Luis“ scheint ein gemachter Mann zu sein, wenn er augenscheinlich so viele Lokalitäten besitzt.

 

Auf dem Marktplatz, wo wir uns zum Essen einfinden, herrscht buntes Treiben. Die große Anzahl von Leuten hier stört uns im Moment etwas. Der Zauber, die Magie unserer einsamen Pilgerwege ist vorbei. Ich sehne mich zurück nach dem beschaulichen und ruhigen „Camino del Norte“. Wir essen eine Paella auf dem Marktplatz, die ihren Namen nicht verdient hat. Wir sind enttäuscht, denn wir erinnern uns an die einzigartige Paella in Villamartín Grande.

 

 

 

Arzúa– O Pedrouzo

 

 

Der `Camino Francés´ ist, wie bereits gesagt, völlig anders als unser `Camino del Norte´, die Fotos zeigen es. Du wirst ständig überholt von anderen, musst oft ausweichen oder Platz machen, hörst viele Sprachen, lernst schnell Leute kennen. Alles wirkt eher unverbindlich und oberflächlich. Ich weiß, dass dies meinen Mann auch sehr stört. Aber wir müssen da durch, wenn wir an unserem Ziel ankommen wollen ...

 

Ein sportlicher älterer Herr mit Dandy-Hut überholt uns und macht Späßchen nach allen Seiten. Er trägt ein Transistorradio auf den Schultern, aus dem Liebeslieder auf Italienisch schallen. Er spricht vor allem junge Mädchen an. Wir schauen, dass wir nicht in der Nähe dieses Gecken weiterpilgern müssen, wollen wir doch nicht ständig dieses Gedudel hören müssen. Hier haben wir ihn also doch noch, einen „echten Casanova“, schmunzele ich.

 

 

 

 © Franka Frieß

 

Doch auch hier immer wieder Momente zum Innehalten - z. B. mit Erinnerungen an Menschen, die auf dem Weg gestorben sind. Es sind auffallend viele Einzelpersonen unterwegs, die ein Päckchen zu tragen und sich auf dem Weg damit zu beschäftigen scheinen.

 

  

 O Pedrouzo – Monte do Gozo

 

 

O Pedrouzo ist die vorletzte Station vor Santiago de Compostela. Man merkt es bereits bei unserem kleinen Hotel, dass hier alles auf Sparflamme kocht, denn die meisten Pilger nehmen diesen Ort nur als Übergang wahr. Es macht sich auch eine gewisse Unruhe breit. Die Menschen wollen nur noch weiter, der Tourismus hat sich darauf eingestellt. In unserem Hotel wird kein Frühstück angeboten, eine richtige Rezeption mit angestelltem Personal, das auf die Gäste wartet, gibt es nicht. Wir müssen am Eingang telefonieren, da kommt eine junge Frau aus einem Nachbarhaus, die nur auf Anruf hin tätig wird und uns die Schlüssel für unser Zimmer überreicht.

 

 Hier in O Pedrouzo besuchen wir eine Pilgermesse, eine von ganz wenigen, die unterwegs angeboten werden. Die lebhafte Römerin von vor zwei Tagen hat uns einen Infozettel in die Hand gedrückt mit herzlicher Einladung zum Pilgergottesdienst, welcher täglich hier angeboten wird. Die Kirche ist voll. Der Priester fragt, wo all die Pilger herkommen. Die meisten Leute melden sich. Es sind auch einige aus Deutschland dabei. Direkt vor mir in der Bank sitzt eine elegante Frau mittleren Alters mit grauem Kurzhaarschnitt. Sie trägt wunderschöne, dabei sehr einfach gestaltete silberne Ohrringe, die mich ablenken vom Gottesdienst - die sind aber auch zu schön! Was mir noch an dieser Dame auffällt, ist, dass sie sehr innig betet und ganz vertieft an der Heiligen Messe teilnimmt. Das gefällt mir richtig gut. Woher diese Pilgerin wohl kommen mag? Ich tippe auf Schweden.

 

Am nächsten Morgen, sehr früh und noch bei Dunkelheit, strömen unglaublich viele Pilger aus allen möglichen Haustüren und Unterkünften. Ein irrer Anblick! Es ist um diese Stunde ziemlich frisch und ich sehe sogar eine Frau mit Handschuhen - dabei haben wir Mai! Alle müden Wanderer sind recht gut eingepackt und sehen urig bis fast makaber aus. Jeder geht für sich alleine, kaum wach, traumverloren und verschlafen. Die meisten, so wie wir, ohne Frühstück wohl, taumeln vor sich hin, dem ersehnten Ziel Santiago de Compostela bereits sehr nah. Unterwegs entdecke ich die „vornehme Schwedin“ aus dem Pilgergottesdienst in einer Bar am Wegrand sitzen, in die auch wir einkehren. In einer Gruppe von Leuten sitzt sie und unterhält sich. Ich bin jetzt neugierig und gestatte mir, etwas näher an diese Gruppe heranzutreten, um zu horchen, denn ich will wissen, woher diese Pilgerin kommt. Welche Sprache sprechen die Leute? – Sie sprechen das reinste wunderschöne britische Englisch. Aha, knapp danebengelegen! Keine Schwedin, dafür eine Britin!

 

Wir erreichen nach einem langen Wandertag, der sich hinzog, als wolle er nicht enden, unsere letzte Herberge Monte do Gozo auf einem Hügel vor den Toren Santiagos de Compostela. Von hier aus genießen wir den herrlichen Blick auf die Stadt und ihr Wahrzeichen, die Kathedrale. Wir sind glücklich. Monte do Gozo heißt ja auch übersetzt „Berg der Freude“ und bezieht sich auf das Glücksgefühl, das sicher alle erfüllt, wenn sie das Ziel ihrer Pilgerschaft erblicken können.

 

 

 © Franka Frieß

 

Vor dem Schlafengehen machen wir noch einen kleinen Nachtspaziergang zur Kapelle des Heiligen Markus, die mitten auf dem höchsten Punkt des Hügels steht.

 

 

 

© Franka Frieß

 

Morgen dann kommt das große endgültige Finale! Wir freuen uns sehr und ich teile die spannende Vorfreude mit meinen Lesern zu Hause.